Kreiskirmesbursche

Der Morgen dräute. Nebelschwaden hatten sich in der Stille der Dunkelheit ins Tal gestohlen und an den grauen Bretterzäunen und rotweißen Absperrgittern der Behelfsbrücke über die Wülmsche versammelt. Rüstig stemmte sich die Kastanie, den Stamm mit Holzbohlen gepanzert, stachlige Kugeln zum Abwurf bereit, inmitten der Baustelle gegen wabernde Wolkenfetzen und hochgereckte Baggerschaufeln. Die gelb blinkenden Warnlichter waren nicht mehr zu erkennen, wahrscheinlich von der, um ihren Treffpunkt gebrachten, Dorfjugend geklaut. Das Disco-Fieber wütete bis hierher. So mancher Rundfüßler, und Kirmes war Stoßzeit, fiel ihm zum Opfer. Nichts, was mit Wasser, Seife und einem Pflaster nicht zu beheben gewesen wäre. Aber die Sicherheit, vor allem die äußerliche, wurde als gefährdet betrachtet, und wie immer in den letzten vierzig Jahren wurden die Flüchtlinge naturgegebenermaßen als Schuldige erkannt. Der Nebel wurde auch immer dichter. Nur der Schopf der Kirchturmspitze ragte noch über den Dunst hervor und schlug auch gleich dreimal um sich. Das Dorf lag in tiefem Schlaf und zog die Bettdecke beim Umdrehen bis über die Ohren. Hausfrauen träumten von Grauschleiern.
Die bunten Lichter waren erloschen, nur die Straßenlaternen zwischen Sport- und Festplatz entwanden dem Nebel einen milchigen Schleier. Daneben lag das Zelt, festgemacht an einer Nebelbank. Ich träumte von einem gepflegt gezapften Bier. Wie aus einem anderen Traum drang grundiges Grollen, blasiges Blubbern und klirriges Klickern zu mir. Die Kühlanlage summte im Takt der Neonlichter. Der Blasendruck meldete Alarmbereitschaft.
Es war wieder spät geworden beim Frühschoppen. Die Wallstatt war in geordnetem Rückzug verlassen, nur zu einem war der letzte Marschbefehl nicht mehr vorgedrungen.
Die rechte Wange brannte; aufgeweicht und angetrocknet in einer Schaumweinlache auf der Plastetischdecke. „Graf Dietrich“ war umgekippt und ausgelaufen. Ich entschied mich für einen Ruck. Der Mundwinkel zog dünne Fäden. Das weißblaue Rautenmuster der Plastikfolie hatte eine handtellergroße Aussparung bekommen. Ich fühlte mich irgendwie gelähmt. Geblendet blickte ich zum Tresen rüber, wo tratschige Schemen Lichtreflexe zu Türmchen stapeln und in Pappkartons verpackten.

„Na, Herbert! Haste Frühschicht?“, wandte sich eine mitleidige aber schneidende Frauenstimme an mich, und hämisches Gelächter rollte über mich hinweg.

Mein Blick klarte auf, Klara! Ich hätte was Lustiges sagen wollen, bekam aber die Hände nicht auf den Tisch um mich aufzustützen. Ein verkrümelter Scherzkeks hatte mir die Schnürsenkel in den Knopflöchern der Manschetten meiner Jeansjacke verknotet. Wie Wogen einer Sturmflut brandete die Heiterkeit vom Tresen gegen mich. Die Damen warteten ungeduldig aber vergnügt auf die Frühstücksnummer des Entfesselungskünstlers. Der hatte Mühe „Old Faithful“ am Ausbrechen zu hindern, schüttelte sich karnickelmäßig die Jacke von den Schultern, und schon waren Hände und Arme befreit. Mit einer Equilibristikeinlage, Füße und Hände in der Luft eine halbe freie Drehung auf der Schwebebank, bereitete der Artist seinen Abgang vor, das Bühnenlächeln in Ankerketten gelegt. Der Mundwinkel zog immer noch Fäden. Unter Lachsalven, die Jacke an der Hacke schlurfte ich hoppelnd ins Freie.

„Herbert! Du hast was verloren!“ Dröhnte es hinter mir her.
Reflexhaft drehte ich mich um, taperte zurück, holte tief Luft, die Lippen in Eisen geschmiedet fragte ich: „Wo?“, als ich krachend längsseits auf die Bretter ging.
Die Jacke hatte fest gemacht.
„Da nicht!“ kreischte es auf.
„Du musst suchen, dann brauch´ ich nicht mehr wischen.“

Jetzt brachen alle Dämme. Der Tresen schwankte in schwerer See, ein Brüller nach den anderen fegte über Deck. Die Leichtsinnsmatrosen suchten armerudernd nach Halt und spülten sich und die Ladung über Bord. Aus einem am berstenden Deich zerschellenden, vollgetankten Supertanker schwappte zähes, klebriges Gefeixe über mir zusammen.
Bevor die Schiffbrüchigen Ausschau nach Gestrandeten halten konnten, rappelte ich mich auf und machte die Leinen los, fast hatte ich schon eine handbreit Wasser unterm Kiel.
Der Dunst der frühen Stunde hüllte Buden und Fahrgeschäfte auf dem Festplatz ein, von warmen Licht aus Ost bei Südost durchdrungen. Mir wurde kalt, Schweiß auf der Stirn, die Sickerrinne im Sinn. Aus dem Zelt kam Klabautern, das Tuscheln von Sirenen und Nebelhörnern, das Kabbeln von Skylla und Charybdis, das Beömmeln von Klara und Klaudia.
Die Bewegung entspannte die Lage im Kessel ein wenig, so dass ich eine ruhige und sichere Stelle zum Altölverklappen anlaufen konnte. Ein Fächer von Trampelpfaden war von der Ecke des Zeltes zum Ufer durch die Wiese übers Wochenende getreten, ich steuerte den höchsten Punkt der Böschung an. Das liebliche Gestade, wo das strudelnde Murmeln der Wülmsche zu einer erschöpfenden Aussprache lud.

Die Schausteller hatten erste Anstalten getroffen, um weiter zu ziehen. Es ging wieder rund, das Karussell war von den Ketten, die Autoscooter mit gemütlich aussehenden Planen zugedeckt. Neid überlief mich in einem eisigen Schauer. Ich sehnte mich nach einem vorgewärmten Bett.
Das Gras war so nass, man konnte auf Aale gehen. Die Jacke im Schlepptau stapfte ich im Vorwaschgang zum Bach. Er säuselte mir zu und gluckste so rum, als ich mich von der Seite ins Gespräch einmischte. Der helle, klare Strahl fütterte den Nebel.

Mit dem perlenden Plätschern fiel alle Anspannung von mir ab, von jeglichen Bindungen befreit nahm der Stapel seinen Lauf, die Sache kam in Fluss. Die Knie durchgedrückt, das Becken vorgestreckt, den Buckel rund gemacht, wie eine geschwungene Klammer in einer Funktionsgleichung, nur das ich nicht so einen spitzen Arsch hab, stand ich da, als mir urplötzlich die Erdumdrehung die Füße wegriss. Den ewigen Naturgesetzen folgte mein Körperschwerpunkt den von mir beschriebenen Bogen, und schon hatte ich Wasser gefasst. Wie ein Nachschlag aus der Sektbar traf mich die wogende Frische. Ich wand mich wie ein Wels in schlammigen Strömung, plantschte eine Weile so vor mich hin, und als ich endlich Grund bekam, war der Nachdurst weg.

Zum Glück wusste ich wie spät es war, da die Kirchturmuhr zur Wachablösung schlug, und der Mund keine Fäden mehr zog.
Zeit für eine besinnungsvolle Morgenandacht und ein stilles Nachtgebet.
Gleichzeitig nach Luft schnappend und Wasser hustend fand ich endlich Gelegenheit, mir die Hose hoch zu ziehen, der Reißverschluss, zwei Finger unterhalb der Wasserlinie, ging mit Mühe halb zu. Mitten im Bach, aus Leibeskräften bibbernd, schwankend im Strom, gekrümmt nach Atem ringend hielt ich Ausschau nach einer Anlegestelle. Die Jacke hielt die Füße fest umklammert. Ein Ufer zu hoch, zu steil und zu glitschig, das andere von dichtem Gestrüpp verwuchert, bedurfte es eines Entschlusses.
Der rettende Strand, hundert Meter stromab, da wo Schmelzwasser und Regengüsse über Jahrhunderte vor dem Nadelöhr der Brücke ein breites Bett ausgewaschen hatten, war durch einen Drahtgitterzaun geteilt. Ich versuchte den Kopf über Wasser und mit den Händen am Ufer Balance zu halten, mich mit der Strömung treiben zu lassen.
Tarzan im Unterwasserkampf mit dem Killerkrokodil, Requisiten überflüssig. Jetzt war Alles egal, es war wie Kielholen zur Äquatortaufe. Ein paar gute Schluck später erreichte ich glücklich eine ruhige seichte Zone. Wie ein waidwund geschossener Seelöwe, der sich zum Sterben an Land schleppt, robbte ich durch den Matsch, die Wiese erreichte ich wie der erste Lurch auf erstem Landgang.
Die Sonne nagte am Nebel. Beim grellen Licht des neuen Tages betrachtet, fühlte ich mich Besorgnis erregend. Ich löste die Jacke von meinen Knöcheln und schubberte mir an den tautriefenden Halmen schlammige Erde und glitschiges Grünzeug von den am Körper klitschenden Klamotten.

Klara und Klaudia klabasterten ausgelassenster Stimmung die Straße entlang. Ich erstarrte, vom heftigen Zittern und furchteinflößenden Bibbern mal abgesehen mal abgesehen, das Zähneklappern konnte ich mit letzter Willensanstrengung gerade noch so unterdrücken, da hatten sie mich auch schon gesehen.
Die Wiedersehensfreude wurde zum Taumel, Erstickungsanfälle wechselten mit Hilferufen. Alles, was ich verstehen konnte, war, ich solle aufhören, man könne nicht mehr. Ich stand auf Pflegestopp, saß im Gras und klaubte Grashalme von der Jacke. Das Lachen starb einen qualvollen Erstickungstod, Besorgnis in den Stimmen kamen die Damen durch den glitzernden Tau gestakst.

„Mensch Herbert! Du zitterst ja so, ist dir was passiert?“
„Ich wollte nur die Fische wecken.“ stotterte ich lakonisch zurück.
„Wollteste `n bisschen Gesellschaft? Musste doch nicht gleich so erschrecken.“
„Herbert, Herbert, dass du auch immer so übertreiben musst.“ Und ihr Lächeln überstrahlte die Sonne.
„Habt ihr mal `ne Zichte für mich“ zischte ich, „meine sind `n bisschen nass geworden.“

Klaudia beugte sich zu mir runter und bot mir eine Zigarette an, die ich mühsam aus der Schachtel grabbelte. Ihre ausladenden Auslagen luden zum ausgiebigen Anschnuffeln ein, sie gab mir Feuer, und ich sah die Flamme in ihren Augen.

Dann sagte sie: „Sind deine, haste verloren. Ja, nimm!“
„Wenn du Hilfe brauchst, kannste ja jetzt Rauchzeichen machen.“
„Geht aus der Sonne und macht euch ins Bett!“ kläffte ich hervor.
„Dass du nicht ins Bett machst, pass auf!“ kam zurück.
„Vielleicht wollte er ja wirklich noch mal feucht überwischen.“

Unwetter längst vergessener Meere brausten wieder auf, der Wanderzyklon auf Zwischenstation. Sie klatschten im Clinch in den Klee und klüterten an ihren Kleidern, fast sah es aus, sie wollten an die Sode beißen. Kühe, wiederkäuende!
Ich sollte den Orkan in nächster Zeit noch reichlich nähren, ich würde die Knetmasse im Klemmfutter des Dorfklatsches sein.

Die neuen Schnürsenkel waren wirklich 1A Qualität, zäh wir Haltetrosse, den Hosenknopf hatte ich inzwischen zu gekriegt. So stand ich auf und stapfte mit kurzen schnellen Schritten heimwärts zum Liegeplatz. Die Füße quatschten in den Wanderstiefeln, die Jacke schlabberte auf dem Asphalt. Der letzte aufrechte Trinker im Stonedwaschgang nach großer Fahrt. Ich fror wie Käpt´n Iglo.
Für die Hafeneinfahrt hatte ich Lotsenpatent, außerdem steckte der Schlüssel. Ich zog mein Hemd aus, nahm die dicke Woll- und die gute Häkeldecke aus dem Wohnzimmer und tuckerte in die Küche, die Jacke schlierte auf den Fliesen. Mit dem Schälmesser bekam ich die Schuhe endlich auf und kletterte aus der Kledage, die Haut fühlte sich an wie angetaute Weihnachtsgans.
Ich brauchte einen steifen Grog zum Aufwärmen, begnügte mich aber mit einem dreifachen Klaren als Frostschutzmittel. Ich holte Wurst und Butter aus dem Kühlschrank, ein Bier aus der Kammer, das Brot aus der Kiste und bequemte mich in die Eckbank.

Mir klumpte die Klüse, ich träumte von einem kleistrigen Kleieklysma.

Kabelbrandstifter


Angefeilte Hohl- oder Flachköpfe im gediegenen Vollmantel, abgefeuert auf ein dahindämmerndes Samstagabendpublikum in Erwartung des finalen Rettungsfangschusses, sind ein klarer Verstoß gegen „Genfer Konvention“ und „Haager Landrecht“. Strafverschärfend kommt hinzu, dass die Serienknaller dann teilweise auch noch grausam verstümmelt sind, um ins Sendeschema zu passen.
Ein Anzeigenmotiv in „Der Spiegel Nr. 26/09 S. 120 und Stern Nr. 27/09 S. 127“ von atemberaubender Gedankenlosigkeit: als hätte es nie eine Diskussion um eine Sicherungsverwahrung von Schusswaffen und vor allem der dazu passenden Munition gegeben. Wenn der nächste Amokschütze an einer deutschen Schule demnächst die Projektile nach diesem Vorbild etwas tuned, um die Fanalwirkung ordentlich zu steigern und den Reinigungsdienst richtig zu fordern, wird das sicherlich nicht kausal und gerichtsverwertbar in einen Zusammenhang mit dieser Anzeige zu bringen sein.
Es gibt erheblich krassere Anschauungsobjekte für die akkurate Durchführung eines Massakers wie insbesondere die detaillierte Darstellung vergangener Fälle, wobei die nach Erlösung heischende gequälte Seele die Läuterung vor allem in der akribischen Vorbereitung findet und der Vorstellung den Schrecken, den die Vorgänger verbreitet haben, noch weit übertreffen zu können. Dafür dürfte kaum etwas geeigneter sein, als in aller Seelenruhe den Kugeln in Pappis Hobbykeller den entsprechenden Schliff zu geben.
Der gemeine Spiegel- und Sternleser wird von der zuständigen Mediaplanung sicherlich für hinreichend fähig gehalten, den im Streitfall ironisch gemeinten Unterton dieser Anzeige deutlich erkannt haben zu können.
Reihenweise Fahrkarten
Der „Deutsche Werberat“ darf also ganz beruhigt und geschlossen in den Fronturlaub fahren.
Dümmer geht`s immer!
Neue Folgen, neue Serien, neue Tat!
echt kriminell.